Beitrag 2002
2. Phase: 2002 – 2. Rundgang
SSP Rüthnick Architekten GmbH, Berlin
Verfasser:in: Marius Scheffer
Mitarbeiter:in: Elisabeth Traute, Veronika Rüthnick, Dimitri Bohl, Melina Haseleu
Raumarchitektur Jochen Garbe und Andreas Karch, Berlin
Verfasser:in: Daniel Oppermann
Mitarbeiter:in:
Tragwerk: ARUP Deutschland GmbH, Berlin
TGA: SSP AG, Bochum
Vollbildgalerie (Link)
Audio zur Beschreibung des Entwurfes
Erläuterungstext der Verfasser:innen
Nutzungs- und Gestaltungskonzept
Das Stadion wird ein Anlaufpunkt für Mauerpark- und Sportparkbesucher, Freizeitsportler und Athleten. Mit seiner prägnanten Architektur öffnet sich das umgestaltete Stadion zum Sportpark, wächst aus dem Mauerwall heraus und bildet eine neue Sportikone für die Stadt Berlin. Die repräsentative Überdachung, die sich über den Vorplatz spannt, vermittelt eine einladende Geste zur direkten Begegnung mit dem inklusiven Freizeit- und Leistungssport.
Das ausgediente Haupttribünengebäude wird in die Neugestaltung des Stadions gänzlich integriert und erweitert. Der neue Sockelbau erhebt sich skulptural mit barrierefreien Rampen auf die Verteilerebene des Stadions. Im Sockelbau sind die Funktionen wie Fanshop, Kassen und die Logistik als interne Erschließung untergebracht.
Das Gebäude erhebt sich aus dem grünen Wall, verknüpft sich mit der vertikalen Begrünung der Seile umlaufend mit der Umgebung und trägt der natürlichen Verschattung bei. Die Haupttribüne bietet Raum für alle erforderlichen Nutzflächen des Stadions. Diese liegt in direkter Nähe zur Haupterschließung der Spielstätte und des Sportparks. Die Ränge gen Westen verjüngen sich – daraus resultierend verjüngt sich auch der Publikumsverkehr. Die Stadionschale wird in die bestehende Struktur neu mit der maximalen Optimierung für die Sichtverhältnisse eingebettet – dies ermöglicht den kleinstmöglichen Eingriff in die bestehende Struktur des Mauerwalls. Das Ziel des Entwurfs ist eine schonende Fortschreibung der vorhandenen Strukturen des historisch geprägten Ortes im Sinne der Inklusion und dem nachhaltigkeitsbewussten Bauen des 21. Jahrhunderts im Einklang mit der Umgebung.
Die Gestaltung des Stadions orientiert sich allseitig an den Proportionen und Maßen der bestehenden Haupttribüne. Die Optimierung der Sitzränge mit ihren breiteren Erschließungsgängen spiegelt sich in der Gestaltung der Dachlandschaft wider. Eingänge zu den Rängen zeichnen sich auf dem Dach ab und weisen aus jeder Perspektive auf deren Zugänglichkeit hin. Die sich gen Westen verjüngenden Tribünenbereiche sind gestalterisch und funktional an die anstehenden Personenströme, vorrangig aus dem östlichen Bereich der Spielstätte, orientiert. Die Rückwände des neuen Oberranges fassen das Gebäude und bilden in ihrer Einheit die Hülle der Stadionerweiterung.
Der inklusive Sportpark sieht zwei Ergänzungsbauten für die gedeckten Sportanlagen und das inklusive Begegnungszentrum samt aller erforderlichen Funktionen vor. Verbunden durch einen vertikalen Garten steht der Baukörper vis-à-vis dem großen Stadion gegenüber und bietet eine neue Aufenthaltsfläche für Besucher des Sportparks und des Stadions. Die Haupterschließungsachse von Nord nach Süd wird somit gestärkt und die Sportanlagen im Osten zur Cantianstraße vom regen Publikumsverkehr des großen Stadions visuell und baulich getrennt.
Inklusion und Barrierefreiheit
Die sachliche, orthogonale Reorganisation des Sportparks und klare Definition der Zuwegung zum Stadion begünstigt die Orientierung für alle Besucher. Breite Gehwege und taktile Wegeführungen im Sportpark und Stadion dienen der Lesbarkeit der Wegeführung nicht nur für Menschen mit Seheinschränkungen. Kontrastreiche Gestaltung der Bodenbeläge und Sitzschalen sollen sich in die Gesamtkonzeption fügen und den Anspruch an die Barrierefreiheit zum Ausdruck bringen.
Das große Stadion wird von allen Besuchern durch Treppenrampen im Süden und Osten des Gebäudes erschlossen. Die besonders breite Erschließung ermöglicht ein gemeinsames Ankommen in der Spielstätte. Die Verteilerebene +1 bietet den Zutritt zum Stadion und kreiert gleichberechtigt einen Begegnungsort für alle Stadionbesucher. Die Haupttribüne soll intensiver mit dem besonderen Augenmerk für Menschen mit Hörbehinderung und dazugehöriger Technik ausgestattet sein.
In allen Bereichen des Stadions sind über 200 Plätze für mobilitätseingeschränkte Menschen plus Begleitung vorgesehen. Jeder Stadionbesucher hat die Möglichkeit unabhängig von geistiger oder physischer Verfassung, mittendrin statt nur dabei zu sein innerhalb der optimalen Sichtradien für Fußball und Leichtathletik. Die Nähe zu den schwellenlos erreichbaren, barrierefreien Sanitäranlagen ist in jedem Bereich des Stadions gewährleistet. Breitere Wegeführungen und Treppen begünstigen das Sicherheitsgefühl und vermeiden die Anstauung des Personenverkehrs zu Spitzenzeiten.
Der Inklusionsgedanke wird nicht nur in der Ausstattung und Gestaltung gelebt – Das Einbetten der historischen Struktur des alten Stadions und die Optimierung durch Erweiterung stehen für baukulturelle und baugeschichtliche Inklusion. Ziel ist es, ein Leuchtturmprojekt für Inklusion zu schaffen.
Konstruktion und Materialität des Stadions
Nach Abwägung des Materialverbrauchs und dem ökologischen Fußabdruck durch die Baumaßnahme eignet sich eine Hybridkonstruktion aus Stahlbeton, Holz- und Stahl für das Stadion.
Das Dach ist eine Ingenieurskonstruktion aus Holz, Stahl und Membran. Das simple Tragwerk aus Holzträgern, auskragend von den Tribünenrückwänden und mit Zugseilen in den rückwärtigen Bereich abgespannt, ermöglicht die Errichtung dessen bei laufendem Betrieb. Die Dachbegrünung im Bereich des neuen Oberranges begünstigt die Lastenverteilung. Die Eindeckung des inneren Ringes mit Membranen dient der Raumwirkung und dem Tragwerk. Die Seilkonstruktion im Stadionumlauf bildet eine natürliche Begrenzung des Laufbereiches und lässt mit ihrer vertikalen Begrünung das Stadion mit dem grünen Stadionwall verschmelzen. Die Hybridkonstruktion aus Holz und Stahl bedarf rund 2.600 m3 Holz (GL28c) und rund 100 m3 Stahl (S235).
Die Stadionschale soll aus recycelten Stahlbeton realisiert und in die bestehende Struktur eingebettet werden. Die überhöhten Rückwände des Oberranges sind eine Hybridkonstruktion aus Stahl, Stahlbeton und Holz. Diese ermöglichen die Tragfähigkeit des Daches und kreieren einen akustischen und witterungsbedingten Schutz.
Der Sockelbau wird in einer Stahlbetonskelettbauweise aus Recycling-Beton hergestellt. Die flankierenden prägnanten Innenwände werden aus Stampflehm in der ergänzenden Haupttribünen als Gestaltungsmittel eingesetzt.
Material, Nachhaltigkeit, Energiekonzept und Wirtschaftlichkeit
Die Zukunft des Bauens liegt in der Transformation von bestehenden Gebäuden und der größtmöglichen Wiederverwendung von bereits Vorhandenem. In diesem Sinne wird das Gebäude der Haupttribüne identitätsstiftend im Bestand erhalten, durch zwei Anbauten in Richtung Süden und Norden ergänzt und mithilfe ökologisch nachhaltiger Baustoffe realisiert. Der Erhalt des Gebäudes der Haupttribüne erspart in großem Umfang sogenannte “graue Energie” – in der Regel mehr als fünfzig Prozent gegenüber der eines Neubaus.
Die Bestandsfassade der Haupttribüne und deren Farbigkeit wird weitestgehend erhalten, energetisch ertüchtigt, mit neuen Pfosten-Riegel-Fassade aus Holz ausgestattet und die vorspringenden massiven Holzlisenen eins zu eins ausgetauscht. Die Fassade der Anbauten wird analog zur Bestandkonstruktion ausgeführt. Die Verglasungen werden mit einem wartungsfreien, im Scheibenzwischenraum liegenden Sonnenschutzsystem ausgeführt, welches eine hervorragende Gesamtenergiedurchlässigkeit von durchschnittlich ca. zehn Prozent, bei einer Lichtdurchlässigkeit von mehr als fünfzig Prozent bei voller Durchsicht bietet, sodass die Wärmeeinträge durch Sonneneinstrahlung minimiert werden.
Das hybride Heizkonzept sieht für das Gebäude eine Heiz-Kühl-Lamellendecke und in Teilen ein wartungsarmes Infrarot-Wärmestrahlungsheizsystem vor. Große Teile der benötigten elektrischen Energie werden durch Photovoltaik-Paneele auf den Dachkonstruktion erzeugt. Außerhalb der Nutzungszeiten erzeugte Überschussenergie der Windkraft- und Photovoltaikanlagen wird in einem sehr massiven Lehmfußbodenaufbau mit Hilfe von PET-Infrarotheizfolien gespeichert. Im Heizfall wird die Wärmeenergie sukzessive an die Räumlichkeiten abgestrahlt. Für die Warmwasserversorgung und Teilflächen der Nutzflächen des Gebäudes werden im Wesentlichen Wärmepumpen genutzt.
Die Nutzflächen werden, soweit es möglich ist, über Fenster natürlich be- und entlüftet. Das Lüftungskonzept sieht darüber hinaus zur Nachtauskühlung als Kaskade eine natürliche Be- und Entlüftung mit automatisch gesteuerten, motorisch öffenbaren Fenstern in Nutzflächen oder in Verbindung mit einer zentralen Abluftanlage in den Fluren vor.
Innenliegende Konferenz- und Besprechungsräume sowie WC-Bereiche werden mit Lüftungsanlagen konditioniert. Die zentrale Abluft in den Fluren wird für die kalte Jahreszeit mit Wärmerückgewinnung ausgestattet und erwärmt die Zuluft.
Die ausgedienten Flutlichtmasten werden umfunktioniert und für den Standort mit Windturbinen zur Energieerzeugung, insbesondere im Winter, genutzt. Die teilweise geschlossenen Dachflächen mit rund 12.000 qm bieten ausreichend Platz für Photovoltaikanlagen, die im Sommer und den Übergangszeiten nicht nur das Stadion, sondern auch den Sportpark mit sämtlichen Gebäuden versorgen können. Überschüssige Energie wird ins Stadtnetz eingespeist und dient damit dem Allgemeinwohl und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit des Betriebs. Windkraft- und Photovoltaikanlagen ergänzen sich so optimal im Verlauf der vier Jahreszeiten.
Einzelmaßnahmen wie Photovoltaik mit Dachbegrünung, Regenrückhaltung und Dämmung in Kombination wirken synergetisch in Richtung zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit. Die Dachbegrünung begünstigt den Effizienzgrad der Photovoltaikanlage, die Regenrückhaltung in Verbindung mit Retentionsschicht und Substratdachaufbau wirken zugleich wärmedämmend, sodass Dämmstärken reduziert werden können, die Dachabdichtung ist besser gegen UV-Strahlung geschützt und wird dadurch alterungsbeständig, Der Biodiversitätsdachaufbau erhöht die Artenvielfalt, verbessert außerdem das Microklima und den Albedo Effekt zugunsten der Flora und Fauna.
Das Regenwasser wird aufgefangen, unterirdisch gespeichert, für die Pflege der Grünanlagen, als Grauwasser für die Toilettenspülung und für die indirekte adiabate Verdunstungskühlung genutzt. Die im Sportpark ergänzenden Bauten stehen vis-à-vis zum Stadion und dienen durch einen erdgebundenen vertikalen Garten mit einem Becken zur Verdunstungskühlung dem Wohlbehagen und zur Vermeidung der Überhitzung der Umgebung in den warmen Jahreszeiten.
Die maximale Entsiegelung der Freiflächen und Schaffung kleinerer und größerer Rückzugsorte, gliedern sich an eine klare, leicht orientierbare Wegeführung, die die individuelle Nutzung des Sportparks begünstigt. Einzelne Bäume werden durch eine Vielzahl neuer Bäume sowie vertikaler und horizontaler Begrünung ergänzt. Die Landschaftsgestaltung verbindet einzelne Sportbauten und kreiert einen grünen Sportpark – den Park für alle.
Der konsequenten Anwendung der drei Nachhaltigkeitsprinzipien, in erster Linie der Suffizienz (weniger ist besser), der Konsistenz (Recyclingfähigkeit) und der Effizienz (Optimierung) kommt bei dem Entwurf große Bedeutung zu. Neben deren Umsetzung gilt es, die Gebäude, die Quartiere und Stadtbereiche so umzubauen, dass die Klimaresilienz, also das Umgehen mit der Erderwärmung, Hitzesommern, Starkregenereignissen und vielem mehr, gut und dauerhaft gelingt sowie die negativen Folgen des Klimawandels, soweit möglich, abmildert.
Brandschutz & funktionale Abläufe
Bei dem Gebäude handelt es sich um eine Versammlungsstätte, die als Freisportanlage mit Tribünen genutzt wird und 20.000 Zuschauerplätze fasst. Sie wird nach der Berliner Betriebs-Verordnung beurteilt.
Das bestehende Haupttribünengebäude wird östlich und westlich jeweils mit einem Anbau ergänzt. Die drei Gebäudeabschnitte verschmelzen miteinander und das langgestreckte fünfgeschossige (im Bereich der Haupttribüne viergeschossig) Gebäude in einer Länge von rund 130m, Tiefe von 18m und einer Bruttogrundfläche von 2.400m², wird in drei Brandabschnitte unterteilt.
Der mittlere Teil der Haupttribüne (erhaltenswerter Bestand) dient zukünftig als Versammlungsstätte, dessen repräsentative Erschließung über ein dreigeschossiges Atrium mit Treppenanlage als ein Rauchabschnitt ausgeführt wird. Der Anbau Ost wird über zwei Geschosse vorwiegend als Büro- und Verwaltungsflächen mit entsprechenden Nebenräumen genutzt.
Im Sockelgeschoss befinden sich vorwiegend Technik und Lagerräume sowie Kasse und Cafeteria. Des Weiteren befindet sich dort eine tunnelartige, jedoch großzügige Erschließungsfläche in Ost-Westrichtung, die in diesem Bereich eingeschossig, und im Sockel von Süden aus erschlossen, zweigeschossig ist. Auf Ebene 1 sind Umkleiden, Medizin- und Sanitärräume sowie Büros angesiedelt. Im Süden sind achsensymmetrisch zwei großzügige, flach geneigte Rampenanlagen angeordnet, die das Haupttribünengebäude von außen erschließen.
Die Fußbodenhöhe des obersten möglichen Aufenthaltsraumes im 4. Obergeschoss liegt mit 14,65 m (< 22,00 m) über der umliegenden Geländeoberfläche des Sockelgeschosses. Das Objekt wird entsprechend in die Gebäudeklasse 5 eingestuft.
Über vier notwendige Treppenräume werden die drei oberen Geschosse, und über jeweils vier weitere notwendige Treppenräume der südlich und westlich gelegene Gebäudebereich im Sockel- und 1. Obergeschoss, der durch die zweigeschossige Gebäudefuge in Längsrichtung getrennt ist, erschlossen.
Tragende und aussteifende Bauteile wie Decken, Wände, Pfeiler und Stützen werden feuerbeständig, das Tragwerk der Dächer feuerhemmend ausgeführt. Der Dachaufbau ist als harte Bedachung auszuführen.
Die Anforderungen der Berliner Betriebs-Verordnung in Bezug auf die Führung, Breite und Länge der Rettungswege werden sowohl im Bereich der Freisportanlage als auch im gesamten Tribünengebäude inkl. Treppenanlagen vollumfänglich umgesetzt. Das Gebäude wird flächendeckend mit Brandmelde- und Sprachalarmierungsanlage, sowie Sicherheitsbeleuchtung ausgestattet und erhält im Bereich der dreigeschossigen Haupttribüne – als Versammlungsstätte – Rauchabzugsanlagen.
Das große Stadion mit Haupttribüne wird mit einer mehr als 5,50 m breiten, mit Feuerwehrfahrzeugen befahrbaren Umfahrt ausgestattet und zusätzlich (in den „Eckbereichen“) mit Bewegungsflächen ausgestattet. Die Umfahrt ist von öffentlichen Verkehrsflächen aus erreichbar. Es ist davon auszugehen, dass die Löschwassermenge und -versorgung in den im Umkreis von weniger als 300 m sichergestellt ist.